Gizelas Geschichte - Afik Shiraz. Abinun Shmuel

Jede Familie erhielt ein Stück Brot und eine Wurst als Verpflegung für den gesamten Transport. Dann stiegen wir in den Zug, aber zum Glück erreichten wir nie seinen Bestimmungsort. Kurz nach der Abfahrt begannen die Alliierten mit Bombenangriffen und setzten sie Tag und Nacht fort. So bewegte sich der Zug manchmal vorwärts und manchmal rückwärts, drei Kilometer hierhin und drei Kilometer dorthin, hin und her, hin und her. Als der Berliner Bahnhofsbereich bombardiert wurde, öffneten die deutschen Soldaten, die uns bewachten, die Türen und flohen aus dem Zug und ließen uns unbeaufsichtigt. Einige Gefangene, die Deutsch konnten, nutzten die Gelegenheit und flohen auch. Ich schloss mich ihnen nicht an, weil mein Vater schon in einem sehr schlechten Zustand war und betreut werden musste. Ein paar junge Leute, die in relativ guter körperlicher Verfassung waren, holten aus dem Verpflegungswagen Tüten mit kondensierter, gesüßter Milch, und gaben uns davon ab. Die trug ich auf die Scheibe Brot auf, die ich mir aufgehoben hatte. Es war ein Akt des gegenseitigen Verstehens, charakteristisch für die jugoslavische Gemeinschaft. Alle Jugoslawen, alle Juden, wir alle haben gleich gelitten und wir haben uns alle umeinander gekümmert, wann immer es uns möglich war. Dann setzte sich unser Transport wieder in Bewegung, hin und her. Die Essensrationen, die an uns verteilt wurden, waren zu klein. Ab und zu musste der Zug anhalten, um die verstorbenen Gefangenen zu evakuieren und in einem Massengrab zu begraben. Bei jedem dieser Halte haben die Deutschen über die Toten genau Buch geführt. Am 17. April 1945 starb mein Vater trotz all meiner Bemühungen, ihn am Leben zu erhalten, an Typhus, Hunger und Schwäche. In diesem Moment konnte ich keine Traurigkeit fühlen, ich war erstarrt. Am Bahnhof Schipkau wurde er aus dem Zug geholt und ich konnte keine einzige Träne vergießen. Ich hatte keine Emotionen mehr. Das einzige was ich in diesem Moment wusste war, dass ich mich jetzt um Cila und Dinah kümmern musste, was mein Vater bis dahin getan hatte. Ich war die Größte von uns dreien und von jetzt an verantwortlich. Von Schipkau fuhren wir noch einige Kilometer weiter nach Tröbitz, wo der Zug am 23. April 1945 gestoppt und wir von der russischen Armee befreit wurden. Bis heute markiere ich dieses Datum als meinen zweiten Geburtstag. In Bergen-Belsen verlor ich meinen Onkel, meine Großmutter, meine Mutter und Vater. Von unserer gesamten Familie überlebten nur meine Tante Flora, die Schwägerin meines Vaters, und ihre drei Kinder: Salomon, Moses und Matilda, mein Cousin Bato (Menachem), mein Cousin, Dinah, meine Schwester Cila und ich. Als der Zug in Tröbitz anhielt, flohen die Deutschen. Meine Schwester und meine Cousine hatten Typhus und andere, die zu krank und zu schwach waren zu gehen, blieben im Zug. Ich stieg aus dem Zug und ging ein oder zwei Kilometer, bis ich in die Stadt kam. Dort ging ich in eines der verlassenen Häuser, fand einen Kleiderschrank und öffnete ihn. Ich zog meine schmutzigen und von Läusen befallenen Kleider aus und trug nach langer Zeit zum ersten Mal saubere Kleidung. Ich habe auch etwas zu Anziehen für meine Schwester Cila mitgenommen, aber für meine kleine Cousine habe ich nichts gefunden, da es ein kinderloses Haus war. Als ich ging, traf ich einen russischen Soldaten jüdischer Herkunft, der mir von seinen drei Laib Brot einen abgab. Dazu gab er mir auch ein Stück Schinken, fettiges Schweinefleisch. Das wog fast so viel wie ich. Als ich zum Zug zurückkam bat ich, mir beim Einsteigen in den Wagon zu helfen. Glücklicherweise riefen mir die Leute zu, den Schinken wegzuwerfen, nicht weil er nicht koscher war, sondern weil er uns bei unserer schlechten Gesundheit schwere Verdauungsprobleme und Ruhr, ja sogar den Tod verursachen konnte. Trotz des Hungers hörte ich auf seinen Rat und wir aßen nur von dem Brot, das mit der süßen, konzentrierten Milch bestrichen war. Da wussten wir noch nichts über all die unglücklichen Gefangenen, die unmittelbar nach ihrer Freilassung Kampfrationen gegessen hatten und das mit ihrem Leben Die Befreiung in Tröbitz

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