Gizelas Geschichte - Afik Shiraz. Abinun Shmuel

Die Familie Abinun

Nach meiner Heirat mit Leon zog ich in dasselbe Haus, in dem sein Bruder, seine Frau und ihre Tochter Nada lebten. Mein Mann hatte zwei ältere Brüder und eine jüngere Schwester. Der älteste Bruder, Moritz, reiste vor dem Krieg nach Frankreich, lebte während des Krieges in León und arbeitete dort als Schneider. Bruder Binko arbeitete als Buchhalter und meine Schwägerin Rozika war Partisanin. Am Ende des Krieges diente sie als Soldatin in der Tito-Armee und lebte außerhalb von Sarajevo. Leon arbeitete als Schneider und ich als Verkäuferin in einem Kaufhaus. Am 5. Juli 1946 wurde unser Sohn Shmuel (Sami) geboren, benannt nach Shmuel, Leons Vater. In die große Freude über seine Geburt mischte sich Trauer über meine und Leons Eltern, die ihn nicht mehr kennenlernen konnten. Zwei Monate später bekam Nada einen Bruder namens Yossi, und weil Joya keine Milch zum Stillen hatte, versorgte ich beide, meinen Sohn und Yossi. Ich wurde Mutter mit nur neunzehn Jahren. Ich wusste nichts und es gab niemanden, der mich anleitete, wie man mit Windeln umgeht und das Baby pflegt. Nach der Geburt blieb ich vier Tage im Krankenhaus, danach kehrte ich nach Hause zurück. Ich hätte noch drei Tage bleiben können, aber im Krankenhaus wollte man eine andere Frau zu mir ins Bett legen, Kopf an Beine, also beschloss ich zu gehen. Damals hatten wir kein Kinderzimmer, und so blieb der kleine Shmuel in seiner Krippe eine Zeit lang bei mir. Glücklicherweise wurde er im Sommer geboren, denn ich hatte nur sechs provisorische Stoffwindeln, die nicht durchweichten und es war kaum genug Zeit zwischen den Wäschen um sie zu trocknen. Die meiste Zeit des Tages war ich damit beschäftigt, die Windeln zu waschen und aufzuhängen. Im Winter machten wir ein Feuer und legten die Windeln zum Trocknen über den Ofen. Es waren sehr schwierige Zeiten. Gelegentlich kamen Pakete aus Amerika, geschickt an die jüdische Gemeinde. Daraus verteilen sie aber den Inhalt zuerst an Bekannte und Mitarbeiter und erst danach durften die anderen Bewohner sich davon etwas nehmen. Aber bis ich endlich an der Reihe, fand ich kaum etwas. Manchmal fand ich etwas, womit ich improvisieren konnte, wie zum Beispiel ein Herrenhemd, von dem ich den Rücken abschnitt und für Sami eine Windel daraus machte. Wir haben gelernt, mit fast nichts auszukommen. Nichts! Kein Kaffee, keine Milch. Tee trinken - es gab ja Wasser. So haben wir diese ersten Jahre durchlebt.

Ich (rechts) im Kaufhaus, 1946

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